Darf man Hunde scheren?
Als ich mich vor einigen Jahren entschloss, Kimba das erste Mal zu scheren, hatte ich mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Im Rückblick aber war es die richtige Entscheidung, sie wurde seitdem jedes Jahr im Frühjahr von ihren Fellmassen befreit und hatte pünktlich zum Winter ein voll aufgehaartes Fell.
Die Vorteile in unseren Breitengraden, Hunde mit einem derartig dichten Fell bei Hitzestress zu scheren, liegen auf der Hand. Kimba war jedes Mal wie verwandelt, sie war aktiver und leistungsfähiger, sie machte einen zufriedeneren Eindruck. Natürlich ist das kurze Fell viel pflegeleichter, trocknet nach Schwimmgängen meiner wasserverrückten Langstreckenschwimmerin schneller ab und Parasiten, wie beispielsweise Zecken werden leichter entdeckt. Bei Kimba kam zusätzlich noch hinzu: sie wurde kuscheliger und ihre Berührungsempfindlichkeit nahm ab. Kurzum, Kimbas Lebensqualität nahm mit dem Scheren ihrer Wolle deutlich zu. Kimba war ein Eurasiermädchen, die seit Welpe an chronisch erkrankte.
Das oft angeführte Argument, dass das Fell bzw. die Unterwolle des Hundes gleichzeitig vor Kälte und Wärme schützen soll, ist schlichtweg falsch.
Hier wird ein Hund mit den physikalischen Eigenschaften einer Thermoskanne oder ähnlichen Isolierungsmöglichkeiten gleichgesetzt, dieser Vergleich trifft allerdings nicht zu.
Eine kurze Erklärung zur Funktion einer Isolierkanne (z.B.: Thermoskanne), um den Unterschied deutlich zu machen. Die Funktion einer Isolierkanne ist es, die jeweilige Temperatur der eingefüllten Flüssigkeit möglichst lange zu erhalten, egal ob es sich um eine kalte oder warme Flüssigkeit handelt. Thermoskannen haben die Eigenschaft, den Temperaturausgleich der eingefüllten Substanz mit der vorherrschenden Umgebungstemperatur zu verzögern.
Die Flüssigkeit hat eine konstante Temperatur, die sich nur durch die Temperatur der Umgebung verändern kann, die Flüssigkeit an sich kann weder Kälte noch Wärme produzieren.
Schon hier verbietet sich der Vergleich mit dem Lebewesen Hund, der zudem zu den Warmblütern gehört. Denn der Körper produziert ständig durch Stoffwechselaktivitäten vor allem bei Muskelarbeit Wärme, die wiederum abgegeben werden muss, um die Körpertemperatur konstant zu halten.
Beim Hund geht es nämlich darum, die Körpertemperatur möglichst konstant zu halten. Es geht hier nicht darum, den Körper vor der Wärme von außen zu schützen, sondern so viel wie möglich an überschüssiger Wärme vom Körper abzugeben.
Die Abgabe der überschüssigen Körperwärme findet über die Haut statt. Die Wärme wird über die Wärmestrahlung, Wärmeleitung und vor allem über die Wärmeströmung (Konvektion) abgegeben.
Bei der Wärmeströmung (Konvektion) wandert die Energie von einem Ort höherer Temperatur (hier: Körper) mit der erwärmten Materie zu einem Ort niedrigerer Temperatur (hier: Umwelt).
Wird die Wärmeabgabe der aufgeführten Möglichkeiten aufgrund höherer Umgebungstemperatur eingeschränkt, bleibt nur noch die Verdunstung.
Die „normale“ Körpertemperatur beim Hund liegt je nach Individuum bei 37,5- 39 Grad Celsius. Die Außentemperatur in Nordeuropa liegt meistens darunter und der Hund kann seine, durch z.B. Stoffwechselaktivitäten entstandene Wärme mittels Konvektion an die Umwelt abgeben, bis er seine ideale Körpertemperatur wieder erreicht hat. Je mehr die Temperatur der Umgebungsluft ansteigt, desto schwieriger wird die Wärmeabgabe über die Körperoberfläche.
Kommt nun noch eine Isolierungsschicht dazu, die direkt auf der Haut aufliegt wie Fell und Unterwolle, kann man sich vorstellen, dass die Körperoberfläche kaum noch bzw. gar keine Wärme mehr abgeben kann. Die Körpertemperatur steigt somit an und es können massive Probleme entstehen.
Der Hund kann nun an Hyperthermie (Überhitzung) leiden und im schlimmsten Fall kollabieren.
Hunde produzieren permanent Stoffwechselwärme, kommt dann noch Bewegung hinzu, kann selbst ein Schlittenhund bei kälteren Temperaturen leicht in Hitzestress kommen.
Die Stoffwechselwärme reicht bei einem Hund bei niedrigen Außentemperaturen normalerweise aus, sofern er ein dickes Fell hat, um nicht zu frieren. Hat er ein kurzes, dünneres Fell könnte er selbst damit frieren.
Das heißt im Klartext, Fell ist sinnvoll, um den Körper vor Kälte zu schützen. Entsteht zu viel Körperwärme, muss die überschüssige Wärme an die Umgebung abgegeben werden können., Dabei ist Fell nicht hilfreich.
Um als Hundehalter ein Gefühl für diese Problematik zu entwickeln, könnte man zunächst die Normaltemperatur ohne Hitzestress des eigenen Hundes ermitteln. Nun misst man die Temperatur des Hundes vor einem Spaziergang und ein paarmal nach dem Spaziergang, um festzustellen, wie lange der Hund braucht, bis er wieder seine Normaltemperatur erreicht hat. Diese Messungen wiederholt man nun an Tagen mit unterschiedlicher Außentemperatur und vergleicht, wie lange die jeweilige Abgabe an einem kühlen bzw. warmen Tag andauert.
Kimbas normale Körpertemperatur liegt bei 37,8 Grad Celsius und steigt bis über 39 Grad Celsius an.
Wir stellen also fest, dass sowohl die eigene produzierte Körperwärme, als auch die Temperatur der Umwelt, sowie die jeweilige Dicke der Isolierung (Fell) einen Einfluss darauf haben, wie schnell ein Hund überhitzen, aber auch frieren kann.
Sobald bei einem Hund die Körpertemperatur ansteigt, versucht er durch Verhaltensveränderungen die weitere Wärmeproduktion zu verringern und die vorhandene überschüssige Wärme abzugeben, in dem er anfängt sich weniger bis gar nicht mehr zu bewegen, sich auf kalte Untergründe zu legen, weit ausgestreckt zu liegen, damit eine größere Körperoberfläche vorhanden ist oder sich vom direkten Luftzug kühlen zu lassen. Bei starkem Hitzestress entsteht eine erhöhte Wasseraufnahme und Reduzierung der Futteraufnahme.
Hunde haben nicht die Möglichkeit, über Schweiß ihre Hautoberfläche durch Verdunstungskälte zu kühlen, denn sie haben lediglich an den Pfoten Schweißdrüsen. Sie verlieren die überschüssige Wärme hauptsächlich über das Hecheln, indem sie eine Hechelfrequenz von bis zu 300-mal hecheln pro Minute erreichen können und so über die Zunge und die Schleimhäute des Mauls, durch das Einatmen der kühleren Außenluft, Feuchtigkeit verdunsten. Sollte ein Hund auch in den Ruhephasen vermehrt Hecheln, ist das ein wichtiges Signal, auf das man achten sollte. Dieses Hecheln kann viele Ursachen haben. Eine naheliegende wäre, dass es ihm selbst im Ruhezustand nicht möglich ist, seine Temperatur ausreichend herunter zu regulieren.
Zuviel Körperwärme mit vermehrtem Hecheln hat für Hunde auch immer einen physiologischen Preis – noch mehr Wärme wird erzeugt. Warum sollte man das seinem Hund antun?
Hitzeprobleme können u.a. zu Hitzeerschöpfung, Hitzeschlag, Dehydration, Stress (Erschöpfung, schnelle Reizbarkeit, starke Kopfschmerzen, Konzentrationsschwäche, Angstgefühle, Herzrhythmusstörungen, Schwindel, Hyperventilation (übermäßige Steigerung der Atmung), Verdauungsstörungen, Rückenschmerzen, Übelkeit, Tachykardie (Herzjagen) usw.) führen.
Bei einer andauernden, übermäßigen Beanspruchung physischer und somit auch psychischer Art durch die Hitze kann es zu gesundheitlichen Störungen wie u.a. Schlaflosigkeit und auch seelischen und organischen Krankheiten kommen.
Das Scheren des Fells kann in diesen Fällen ganz unkompliziert und unmittelbar Abhilfe schaffen.
Haben Sie schon mal auf die Wärmebelastung Ihres Hundes geachtet? Den meisten Hundebesitzern sind die Zusammenhänge noch nie klar dargestellt worden. Mit dem hier vermittelten Wissen ist es vielleicht für Sie interessant zu wissen, ob Ihr Hund unter der Hitze leidet, weil er ein dichtes Fell hat! Ich möchte Sie einladen, die Körpertemperatur zu messen, wie oben beschrieben. Dann haben Sie Gewissheit!
Ich kann keine schlüssige Argumentation gegen das Scheren von zu dichtem Fell finden, letztlich reduziert sich dies immer auf subjektive, optische und damit sehr oberflächliche Argumente.
Wenn das Fell wirklich isolieren und kühlen würde, dann wären die Hunde in den warmen Regionen nicht mit dünnerem Fell und in kälteren Regionen die Hunde mit dichtem dicken Fell anzutreffen. In den warmen Klimazonen würde sich so ein dickes Haarkleid nie entwickeln. Würde es isolieren und Abhilfe bei Wärme schaffen, würden die Hunde in den warmen Gebieten ähnlich dichtes Fell entwickeln wie im Norden, dies ist so nicht der Fall.
Selbst die Hunde mit dichtem Fell sind im Sommer meistens mit weniger Wolle bestückt als im Winter. Die Abhaarung würde somit auch hier nicht stattfinden.
Aber oftmals ist dies, trotz Abhaarung, noch zu viel Fell, die Konvektion – Wärmeströmung kann nicht zügig von der Körperoberfläche zur Luft stattfinden.
Bei vielen Hunden ist die Funktion eines Fells völlig entfremdet, es ist zu dicht, hat zu viel Unterwolle und ist zu lang. Fell ist eigentlich zum Schutz vor Verletzungen, für die Isolierung im Winter, generell für die kältere Jahreszeit, damit die Wärme nicht zu schnell von der Körperoberfläche abgegeben wird, sowie Konvektionsmöglichkeit in den warmen Jahreszeiten, damit die Wärme schneller abgegeben werden kann, da.
Dieses ist mittlerweile bei einigen Rassen so nicht mehr gegeben. Rassen wie z.B.: Spitze, Langhaar Collies, Eurasier und Co. haben eine unnatürliche Fellbeschaffenheit, sie sind zwar im Winter gut geschützt, aber bei wärmeren Temperaturen ist es ihnen, mit dem dichten Fell, nicht immer möglich, ihre Körper herunter zukühlen.
Einen Hund bei Hitzestress zu scheren ist ebenso richtig wie das Anziehen von schützenden Wintermänteln, wenn ein Hund aufgrund seiner Fellbeschaffenheit bei kalten Temperaturen nicht mehr in der Lage ist, seine Körperwärme zu erhalten und er deswegen friert.
Wenn sie ihren Hund übers Scheren von seiner Wolle befreien, heißt das aber nicht Kahlschlag. Scheren sie das Fell, je nach Hundetypus, bitte nur maximal auf 7-9 mm oder länger herunter, da es sonst bei sonnigem Wetter zu Sonnenbränden kommen könnte. Das Scheren an sich legt man, wie alle potentiell stressenden Termine, nicht auf einen extrem heißen Tag, das könnte ihren Hund überfordern.
Leidet ein Hund nicht unter Hitzestress, kann er seine Wolle im Sommer genügend abschmeissen und oder man kann sie genügend raus kämmen, dann ist es natürlich auch nicht nötig ein Hund zu scheren.
Copyright: Pumikka – Gemeinsam durchs Leben, Tina Müller